Vergessene Pfoten e.V.
Nur mit dem Unmöglichen als Ziel kommt man zum Möglichen
21. November 2024
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» Herdenschutzhunde – eine subjektive Betrachtung mit dem Versuch, ein Resümee zu ziehen

Eine Adoptantenfamilie berichtet über ihre Erfahrungen mit Herdenschutzhunden:

„Da gerade in der letzten Zeit verstärkt über Herdenschutzhunde jeglichen Ursprungs diskutiert wird, möchten wir versuchen durch die Schilderung unserer Erfahrungen mit den – unter anderem – hier lebenden vier spanischen Herdenschutzhunden (HSH) ein wenig zur Entscheidungsfindung beizutragen.

Vorab sei gesagt, dass wir das große Glück haben, in Spanien mit diversen Hunden mit unterschiedlicher Geschichte auf einem 10.000 qm großen, komplett sicher eingezäunten Grundstück zu leben. Keiner unserer Hunde lebt in einem Zwinger (wir haben gar keine) und jeder Hund hat jederzeit freien Zugang zum Haus. Einige Hunde sind aus Deutschland mitgekommen, einige aus dem Refugio über die Vergessenen Pfoten zu uns gekommen und zwei kamen auf anderen Wegen. Von unseren vier Herdenschutzhunden (drei von den Vergessenen Pfoten) möchten wir hier erzählen und dann werden wir abschließend versuchen, eine Art „Resümee“ zu ziehen.

Der erste HSH, der bei uns einzog, war Monty, vermutlich ein Mastín Español. Monty ist durch sein vorheriges Leben arg in Mitleidenschaft gezogen worden, auf der Straße gefunden, wahrscheinlich misshandelt, bereits im Refugio musste ein Femurkopf entfernt werden und er hatte mit knapp sechs Jahren schon schwere Arthrose.
Monty kam bei uns an, stieg aus dem Auto, stiefelte über das Grundstück, alle Hunde liebten ihn und er alle Hunde. Glücklich seufzend legte er sich in die Sonne und war fortan für alle Hunde, auch für alle Neuankömmlinge, der Fels in der Brandung und die Seele unseres „Rudels“ (wir wissen, dass der Begriff nicht korrekt verwendet wird, der Einfachheit halber machen wir es trotzdem). Anfänglich sprintete er auch kurze Strecken zum Tor und verbellte alles Ungewohnte. Monty ist absolut in sich ruhend und der freundlichste Hund der Welt. Wenn er einen Menschen sieht, wedelt er immer vor Freude. Auch wenn er dazu nicht aufsteht, das BÄMBÄMBÄM der Rute ist immer präsent. Fremde Menschen werden freudig begrüßt, neue Hunde ebenso. Lange Spaziergänge waren nie seins, dafür sind die Knochen schon zu sehr in Mitleidenschaft gezogen, aber er liebt es, nach seinem Bedarf über das Grundstück zu spazieren. Womit wir auch schon bei seinen Problemen angekommen sind: Durch die schwere Arthrose, die bei großen, schweren Hunden absolut nicht ungewöhnlich ist, ist Monty inzwischen deutlich weniger agil geworden. Mit seinen geschätzt knapp neun Jahren bekommt er seit geraumer Zeit Librela und bei Bedarf noch zusätzliche Schmerzmittel. Manchmal kann er nur mit großer Anstrengung aufstehen, dabei kann es passieren, dass er etwas Kot absetzt. Insgesamt genießt er sein Leben und die Freiheit zu entscheiden, was er wann macht, noch sehr, aber es ist abzusehen, dass seine Zeit endlich ist.

Seinen „Wächterstab“ hat Monty dann an Bruce (vermutlich auch Mastín Español) weitergegeben, der ca. ein Jahr später auch aus dem Refugio zu uns kam. Der damals schon geschätzte zehn Jahre alte Bruce war vorher wohl ein „Wanderpokal“, der seinem letzten Besitzer entlaufen ist. So kam Bruce ins Refugio, der vorherige Besitzer wollte ihn dann auch nicht mehr. Bruce kam völlig unaufgeregt hier an und wirkte nur (lebens-)müde. Er legte sich in eine ruhige Ecke, die anderen Hunde interessierten ihn überhaupt nicht. Damals dachten wir, okay, dann hat er noch einen kurzen, liebevoll bekümmerten Lebensabend. Aber Bruce blühte zum Glück völlig auf. Und er fing an, seinen Job zu machen – er bellte. Er bellte alles an, was neu war. Und es war alles neu für ihn. Jeder Fuchs, jede Katze in der Nachbarschaft, jedes Auto, jeder Trecker, jeder Schuss wurde kommentiert. Nicht, dass er dabei sonderlich aufgeregt gewesen wäre, er stand und bellte. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Die anderen Hunde waren alle für ihn okay, den einen oder anderen mochte und mag er offensichtlich gern. Genau wie Monty spielt/e er aber nicht mit den anderen Hunden. Gelegentlich hatte er Mal kurze Momente, in denen er mit uns etwas gekaspert hat. Inzwischen plagen auch ihn – wen wundert es – Arthrose und Spondylosen. Für eine Femurkopfresektion ist er zu alt und zu schwer mit seinen gut 80 cm Rückenhöhe bei 52 kg (Idealgewicht). Auch er bekommt Librela, Galliprant und bei Bedarf noch Schmerzmittel. Inzwischen fällt ihm das Aufstehen deutlich schwerer und wenn er nicht sofort aufstehen kann, bellt er nach seinen Dienern und wir sprinten zu jeder Tages- und Nachtzeit hin und helfen ihm aufstehen. Wenn es mal nicht schnell genug geht, kann es auch mal passieren, dass er sich einpinkelt. Sobald er aber steht, stiefelt er durch die Gegend und ist ganz vergnügt. Das Bellen ist mit Ankunft des dritten HSHs deutlich weniger geworden, aber es kann noch immer sein, dass aufregende Geräusche nachts verbellt werden müssen – im Zweifelsfall eben im Liegen. Auch seine Zeit ist deutlich endlich, aber mit dem nahezu biblischen Alter von zwölf Jahren bleibt das nicht aus.

Um ein kurzes Zwischenfazit zu ziehen: Monty und Bruce waren beide nicht gerade jung oder gesund oder hatten ein tolles Leben, bevor sie zu uns kamen. Aber beide sind absolut freundliche Hunde, allen Hunden oder Menschen gegenüber. Beide lieben ihre Freiheit zu entscheiden, wo sie sich aufhalten – draußen auf dem Grundstück in der Sonne oder entspannt im Haus auf einem orthopädischen Bett.
Allerdings haben beide inzwischen starke körperliche Beschwerden, die zu Beeinträchtigungen im alltäglichen Leben von Hunden und Menschen führen. Natürlich haben das viele alte Hunde, allerdings sollte man nicht unterschätzen, dass es nicht so einfach ist, einem um die 50 kg wiegenden Hund auf die Beine zu helfen oder bei Bedarf ins Auto und zum Tierarzt zu bekommen. Davon mal ganz zu schweigen, dass auch diese Hunde beim Tierarzt auf den Behandlungs- oder Röntgentisch müssen (zum Glück sind beide absolut friedlich beim Tierarzt). Zudem ist es ein deutlicher Unterschied, was die Kosten für Medikamente, Hundebetten oder Futter (gerade Spezialfutter, aber dazu kommen wir noch) angeht.

So, kommen wir zu dem dritten HSH – auch von den Vergessenen Pfoten, auch wieder ein Pflegefall. Kuddel kam gut ein Jahr nach Bruce zu uns – auch hier war zu bemerken, dass Bruce den Wächterstab abgegeben hat und seit Kuddels Ankunft nicht mehr so viel bellte. Kuddel war geschätzte vier Jahre alt, Leishmaniose und Osteochondrose brachte er als Gepäck mit. Auch gute 80 cm Rückenhöhe und schlanke 55 kg. Kuddel war am Anfang total verängstigt (die ganze Geschichte ist auf Kuddels Seite nachzulesen). Kuddel hatte kein Problem mit den anderen Hunden, aber Angst. Angst vor Schüssen, Angst vor Regen, Sturm oder gar Gewitter. Da sich später herausstellte, dass er Schrotkugeln im Körper hat, ist dies nicht verwunderlich. Kuddel hat lange gebraucht um sich entspannt auf dem Grundstück zu bewegen, an der Leine gehen war unmöglich. Aber bellen ging. Wenn er nicht gerade vor etwas Angst hatte und sich drin verkroch. Im Laufe der Zeit hat Kuddel aber so viel Vertrauen zu uns aufgebaut, dass er unsere Nähe sucht, wenn er Angst hat. Nun muss man dabei aber bedenken, dass er dann sabbert wie Teufel und am liebsten auf den Schoß möchte. Auch hier möchte ich darauf verweisen, dass es nicht jedermanns Sache ist, wenn vor Angst sabbernde 55 kg auf das Sofa oder ins Bett in einen hineinkriechen. Inzwischen hat Kuddel aber ansonsten eine hervorragende Entwicklung gemacht, nur noch selten Angst und geht ganz in seinem Job auf. Er bewacht das Grundstück. Und er kann dabei richtig böse werden, wenn Füchse, Wildschweine oder Luchse sich dem Grundstück nähern. Oder unbekannte Menschen. Er hat dann eine mächtige Bürste, bellt und zeigt Zähne – und zwar alle. Ein anderer Hund sollte ihm dann nicht im Weg stehen. Im besten Fall wird dieser umgebolzt oder im schlimmsten Fall weggeschnappt. Und zwischenzeitlich hatte Kuddel in echter Jungspundmanier Diskussionsbedarf mit zwei unserer Rüden. Das ließ sich sofort unterbinden, muss aber erwähnt werden. Kuddel hat sich innerhalb von knapp zwei Jahren (ja, es hat gedauert) von einem Angsthund zu einem selbstbewussten HSH entwickelt. Er ist nach wie vor gut zu händeln und liebt alle Menschen, sobald wir diese auf das Grundstück bitten, aber er unterscheidet sich deutlich von Monty und Bruce. Wenn es nicht gerade Sturm oder Gewitter gibt, macht Kuddel seinen HSH-Genen alle Ehre. Dabei ist er, wie gesagt, immer noch abrufbar und meist umgänglich. Das hätte sich aber auch anders entwickeln können. Spaziergänge sind inzwischen möglich, die findet er aber absolut überflüssig – er hat doch sein Grundstück und seinen Job. Gesundheitlich hat er inzwischen eine Femurkopfresektion hinter sich bringen müssen, eine neue Hüfte stand (auf der anderen Seite) zur Debatte, aber nach Rücksprache mit Tierarzt und Spezialisten haben wir uns dagegen entschieden. Seine Leishmaniose ist inaktiv, so dass er nicht einmal mehr Aluporinol braucht. Allerdings braucht er dauerhaft Tabletten zur Unterstützung seiner Osteochondrose. Und zudem Spezialfutter, da er Harnsteine hatte – auch hier sei darauf verwiesen, dass so ein großer Hund enorme Kosten verursachen kann (s.o.). Wobei ich auch hier anmerken möchte, dass Kuddel beim Tierarzt ein Lämmchen ist. Auch ihn kann man – so man es denn schafft – auf den Röntgentisch heben und er lässt sich alles gefallen – zum Glück.

Der letzte HSH kam auf anderen Wegen zu uns. Eco, neun Jahre alt, wurde angeblich von den spanischen Vorbesitzern abgegeben, weil er zu viel bellte (!!!). Er war dann fünf Jahre in einem privaten Refugio und wir haben ihn dann in ziemlich desolatem Zustand übernommen (den meisten Hunden geht es dort gut): völlig verfettet, kaputte Pfoten durch zu viel Gewicht und fehlende Krallenpflege und angeblich chronische Ohrentzündung. Nichtsdestotrotz war und ist Eco ein sehr stolzer Hund und galt als „schwierig“. Da wir aber dort gelegentlich aushelfen, kannten wir Eco schon länger und waren uns sicher, dass es passen würde. Also kam Eco im März dieses Jahres zu uns. Auch er war sehr freundlich zu den anderen Hunden. Lediglich mit Kuddel gab es einmalig eine Diskussion. Es ist schon imposant, wenn 120 kg Hund diskutieren – aber das ließ sich ohne Probleme beenden und seitdem ist es gut mit den beiden. Inzwischen sprinten sie gemeinsam zum Tor, wenn sich unerlaubterweise ein Auto nähert oder sie liegen zusammen auf dem Sofa. Ecos gesundheitliche Baustellen haben wir im Griff und er hat 12 kg abgenommen. Aber nach wie vor ist Eco nicht zu unterschätzen. Zu den Hunden ist er zauberhaft und die „Gemüsestäbchen“ (die kleinen aus dem Refugio) haben Narrenfreiheit bei ihm. Aber fremde Menschen bei uns zu Hause sind ihm nicht willkommen. Wenn wir dabei sind, ist es okay, aber es sollte niemand ungefragt das Grundstück betreten. Und selbst wenn jemand „eingeladen“ ist, muss man ein Auge auf ihn haben. Als wir einen Elektriker hier hatten, hatten wir Eco an der Leine im Haus zur Gewöhnung an fremde Menschen. Trotzdem hätte er gern dem Elektriker deutlich gemacht, dass er gehen solle. Um es klar zu formulieren: Hätten wir nicht ein Auge auf Eco gehabt, hätte er gebissen. Bei uns ist er absolut kuschelig, auch beim Tierarzt ist er ein Traum. Etwas gespannt waren wir, als nach Eco unser letzter Neuzugang kam: ein auf der Straße gefundener, für unsere Verhältnisse kleiner Mischling. Dieser wurde angefahren und konnte am Anfang nicht richtig laufen. Er fiel immer hinten um und zog dann die Beine hinter sich her – quasi ein ideales Opfer. Das war jedoch überhaupt kein Problem für Eco (übrigens kann der „Neuzugang“ inzwischen wieder prima laufen). Was bei Eco noch wichtig ist zu erwähnen: er bellt – wen wundert es. Er hört sich manchmal an wie ein Auto mit Startschwierigkeiten, aber das macht es nicht besser. Er verbellt die Füchse, Katzen, Menschen, Trecker etc. auch nachts. Gern zusammen mit Kuddel – aber beide machen nur ihren Job.

Nachdem wir nun in epischer Breite die Geschichten unserer HSH erzählt haben, versuchen wir uns an einem Resümee. Das wird schwierig. Und es geht nur um UNSERE HSH. Andere können ganz anders sein.
* Unsere HSH bellen. Manche mehr, manche weniger. Aber sie bellen. Wenn wir nicht zu Hause sind, dann deutlich mehr – es ist ja auch ihr Job.
* Unsere HSH sind mit den anderen Hunden freundlich, zugewandt oder auch altersgemäß am rumprollen – das ist normal, aber bei so großen Hunden (wie Kuddel) nicht zu unterschätzen.
* Unsere HSH machen ihren Job. Menschen vor dem Grundstück sind bei den fitten Hunden nicht gern gesehen – wenn diese Menschen eingeladen werden, ist Kuddel freundlich, aufdringlich und kuschelig und Eco weiterhin deutlich mit Vorsicht zu genießen.
* Unsere HSH lieben es frei zu entscheiden, wo sie sich aufhalten – drinnen oder draußen. Keiner würde es gut aushalten in einem Zwinger oder wo auch immer eingesperrt zu sein – aber sie sind es auch nicht anders gewohnt. Aber wir denken auch, dass das kein HSH mag.
* Unsere HSH haben alle gesundheitliche Baustellen – bei der Größe und dem Gewicht ist das wohl bei vielen HSH zu erwarten. Man kann das gut in den Griff bekommen, aber die Kosten sind allein wegen des Gewichts höher als bei allen großen Hunden.
* Unsere HSH haben kein Interesse daran zu gefallen – ihnen fehlt der „will to please“. Sie sind selbstständig und machen nur das, was ihnen sinnvoll erscheint – auch das ist typisch.
* Unsere HSH sind zauberhaft beim Tierarzt – wir können uns kaum vorstellen, was wäre, wenn einer dort eskalieren würde.
* Betten, Futter, Medikamente, alles ist teurer. Immer und bei allen HSH und allen großen Hunden.

So, wahrscheinlich haben wir ganz viel vergessen. Um nun wirklich zum Ende zu kommen: Für uns sind es (zumindest die aus Spanien und über die Vergessenen Pfoten vermittelten) die tollsten Hunde überhaupt. Aber es wird wahrscheinlich nicht funktionieren mit zwei Wochen Urlaub, keinem Grundstück und problematischen Nachbarn. Eine sogenannte harte Hand geht gar nicht und wird sich sicherlich im Zweifelsfall gegen die Besitzer wenden. Hundeschule kann Sinn machen (glauben wir aber eigentlich nicht, da sich die meisten damit nicht auskennen), im Zweifelsfall wäre Einzeltraining mit einem kompetenten Trainer (z.B. von „Trainieren statt dominieren“) von Vorteil. Wir brauchten keinen Trainer, aber wir haben auch die Zeit und inzwischen ein bisschen Ahnung. Jeder HSH ist ein Überraschungspaket, wir haben zwei super chillige (aber anfangs bellende) und zwei, die etwas Arbeit brauchten. Es sei nochmal ausdrücklich darauf verwiesen, dass wir nicht von Owtscharkas oder Kangals reden, sondern von den HSH aus Spanien (was auch immer da drin sein mag).

Als Monty in unser Leben trat, sagten wir, jeder Mensch müsse einen Monty haben, dann sehe die Welt ein bisschen besser aus.
Als Bruce in unser Leben trat, sagten wir, wie schön, den alten Hund so aufblühen zu sehen.
Als Kuddel in unser Leben trat, sagten wir, wie faszinierend zu sehen, wie ein Hund seine Ängste überwinden kann.
Als Eco in unser Leben trat, sagten wir, wie wunderbar, einen Hund zu sehen, der zu sich selbst zurückfindet.

Traut euch, wenn ihr die entsprechenden Umstände habt.“